ULRIKE SCHMITZ

Marker Ulrike Schmitz
The lizards are not what they seem
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THE LIZZARDS ARE NOT WHAT THEY SEEM

2019
augmentierter Tintenstrahldruck
60×40 cm
Unterstützender Entwickler: Leonid Barsht

Seit den Anfängen der Wissenschaft zieht der Mensch Bilder, Grafiken und Modelle heran, um Theorien zu untermauern und Thesen zu stützen. Nicht erst seit der Perfektionierung digitaler Bildbearbeitung sind dabei »Fake Views« (Zitat) mächtige Werkzeuge zur unabsichtlichen wie auch zur gezielten Realitätskonstruktion. In der visuellen Kunst wird diese Konstruktion seit der Antike ganz bewusst betrieben, etwa um die technische Virtuosität Kunstschaffender und die Täuschbarkeit des menschlichen Auges zu demonstrieren. In der Wissenschaft jedoch geht mit jeder bildhaft bewiesenen These ein Wahrheitsanspruch einher, der in krassem Widerspruch zur willentlichen Täuschung steht. Hier ist diese kein goutierter Kunstgriff, sondern ein gegen den Wissenschaftsethos verstoßendes Tabu, das die Suche nach der Wahrheit bis hin zu deren ideologischen Verschleierung verfälscht.

Mit den Grenzen zwischen wissenschaftlichen und ideologischen Visualisierungen befasst sich die Künstlerin Ulrike Schmitz in ihrer mehrteiligen AR-Arbeit The lizards are not what they seem. Hierzu greift sie auf zwei ganz unterschiedliche Wirklichkeitserzähler zurück, deren Thesen jedoch beide um die Frage nach genetischer Determination des Menschen kreisen: Auf der einen Seite der Wiener Zoologe Paul Kammerer (1880–1926), der Anfang des 20. Jahrhunderts an Feuersalamandern und letztlich mit manipulierten Fotografien beweisen wollte, dass unsere Gene durch gesellschaftliche Lebensumstände verändert werden können. Auf der anderen Seite der britische Verschwörungstheoretiker David Icke (* 1952), der mithilfe fragwürdigen Bildmaterials die Existenz sogenannter Lizard People zu untermauern versucht. Laut Icke ist die Menschheit eine unterjochte Züchtung dieser Reptilien-Aliens. Prominente wie Queen Elizabeth, George W. Bush oder die Clintons sind laut Icke allesamt Lizard People – eine Theorie, an die in den USA immerhin 4 % der Bevölkerung glauben.

Wie in einer Petrischale mit Kontrastmittel versehen und mikroskopisch vergrößert, zeigt die Künstlerin hier zwei maskenartige Menschenkopfmodelle, die einer blauverwaschenen Lösung zu entschweben scheinen. Eine zellähnliche Struktur am rechten unteren Bildrand verstärkt den Eindruck eines unheilvollen mikrobiologischen Experimentes. Das grünlich fluoreszierende Profil im Hintergrund scheint eine Metamorphose zur Echse zu durchlaufen – die Umrisslinie ist wie von unsichtbarer Hand gezeichnet, jedoch noch nicht vollends ausgefüllt. Oder führt sie als nachträglich ergänzte Linie erst den manipulierten Beweis des Echsenseins? Wer sich mit der Lizard-People-Theorie David Ickes und ihren Bezügen zum Dunstkreis Barack Obamas auseinandersetzt, wird das umrissene Profil in der dazugehörigen Ikonografie wiederfinden.

Durch Augmented Reality setzt sich die vordere Maske in Bewegung und zeigt sich wie eine vollplastische Skulptur aus verschiedenen Perspektiven. Es wirkt, als sei sie die modellierte Vorstufe einer wissenschaftlichen Züchtung oder gar Mutation zur – um Icke zu zitieren – „reptiloiden Rasse“. Dabei lässt sich in Hinblick auf die zentrale Thematik nicht zuletzt eine bewährte Faustregel ableiten: Vermeintliche Rassenmerkmale werden immer ein untrügliches Merkmal zur Unterscheidung von Täuschung und Wahrheit, von Ideologie und Wissenschaft bleiben.

Im Rahmen der technischen AR-Entwicklung von besonderer Bedeutung war die stetige Veränderung der zu augmentierenden Elemente in Hinblick auf deren Position, Rotation und Größe. Zunächst schien daher die Erzeugung von Animationen innerhalb von Unity nahe zu liegen. Letztendlich war es jedoch sinnvoller, zur Veränderung der genannten Eigenschaften wiederverwendbaren Code zu implementieren. In Form verschiedener Skripte wird dieser den einzelnen zu augmentierenden Elementen zugewiesen. Somit kann etwa schnell eingestellt werden, auf welcher Achse und wie schnell ein Element rotieren soll.

Text: Maja Stark und Leonid Barsht

Über die Künstlerin:

Ulrike Schmitz lebt in Berlin. Nach Jurastudium und Promotion hat sie im Jahre 2012 ihren Abschluss an der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin gemacht. Aktuell arbeitet sie an ihrer Abschlussarbeit im postgraduierten Masterstudiengang Art in Context an der Universität der Künste Berlin bei Prof. Dr. Heiser. In ihren künstlerischen Arbeiten setzt sie sich mit Phänomenen der Wissenschaft und deren Wechselwirkung mit gesellschaftlichen Strukturen und Wertungen auseinander.

Im Jahre 2015 wurde sie zu dem fünfjährigen weltweiten Ausstellungsprojekt reGeneration3 des Musée de l’Elysée, Lausanne, Schweiz eingeladen und zu PLAT(T)FORM 2016 des Fotomuseum Winterthur, Schweiz. 2018 war sie Teil des Residenzprogramms von WINZAVOD Center for Contemporary Art in Moskau. In 2019 war sie Teil des Unlearning Place im Rahmen der Eröffnungstage von The New Alphabet im HKW in Berlin. Ihre Arbeiten wurden vielfach in Deutschland und international ausgestellt, etwa im Benaki Museum in Athen, im Centro Nacional de las Artes in Mexiko-Stadt, Lishui Art Museum galleries in China, Art Foundation metamatic:taf in Athen und im Museum De Buitenplaats in Groningen, Niederlande.

www.ulrike-schmitz.com